Mittwoch, 20. Februar 2013

Sitzenbleiben soll abgeschafft werden

N-TV schreibt in einer aktuellen Frage und Antwort Runde "Kommt Sitzenbleiben aus der Mode" die Gedanken, die hinter dem Modell stecken das Sitzenbleiben abzuschaffen.
Es ist äußerst schade, dass dabei eher einseitig berichtet wird und die reale Situation eigentlich gar nicht mit einbezogen wird.

Kurz gesagt gibt es gegen das Sitzenbleiben durchaus einleuchtende Argumente. Eigentlich bleiben nämlich erst einmal gar nicht viele Kinder sitzen, nur 2% nämlich.
Sitzenbleiben koste den Steuerzahler unnötiges Geld (man rechnet hier eine Milliarde Euro vor), denn das Jahr sei für den betreffenden Schüler verschwendet, die Leistung würde sich nicht bessern. Auch würde es der Klasse nicht helfen, denn das aussieben unerwünschter Schüler würde nicht funktionieren da von oben Sitzenbleiber nachrücken.

Bei 2% Sitzenbleibern und einer Klassengröße von sagen wir 25 Schülern ist das ein halber Schüler. Also in jeder zweiten Klasse bleibt ein Schüler sitzen. Der Eindruck, dass eine Horde von Schülern sitzen bleibt und viele von oben nachrücken lässt unter dem Gesichtspunkt etwas nach. Auch die Milliarde Euro relativiert sich etwas, wenn man bedenkt, dass es 6500 Euro pro Schüler aus macht.
Dass es den betreffenden Schülern nichts bringe entkräften die Zahlen der Befürworter des Sitzenbleibens.

Letztlich bleiben die schlagkräftigsten Argumente gegen das Sitzenbleiben, dass es sich um ein überholtes Bestrafungsmittel mit Stigmatisierungswirkung handele, dem man damit entgegen treten muss, dass sich Lehrer und Schulen anpassen und den Lernfortschritt der Schüler individueller fördern.

Das ist alles sehr fromm und durchaus richtig und total neben der Realität.
Es setzt nämlich eine ganz profane Sache voraus: dass der betreffende Schüler immer gleich ist. Er bleibt nur aus dem Grunde sitzen, dass er einen Lernrückstand hat, den er aufarbeiten will.

Der Lernrückstand ist jedoch heutzutage häufig nicht mehr nur Ursache des Sitzenbleibens sondern Symptom und Ausdruck eines viel tieferen Problems. Weniger sind Faulheit als viel mehr Unwillen und Fehleinschätzungen der Eltern die Ursache.

Betrachtet man sich eine Schule vor 20, 30 oder 50 Jahren so findet man ein etwas anders geartetes System vor. Gar nicht mal so sehr in den Methoden sondern viel mehr im Umgang mit dem System Schule.
Hat der Grundschullehrer beispielsweise befürwortet ein Kind in die Realschule zu schicken, so wurde das von nahezu allen Eltern akzeptiert. Es war klar, der Schüler gehört nicht zur Oberschicht sondern zur guten Mittelschicht. Dem Lehrer vertraut man in seinem Urteil.
Auch der Respekt den die Schüler vor den Lehrern hatten war ein anderer. Dem Lehrer zu widersprechen war ein Akt größter Revolution und hatte schwerwiegende Konsequenzen.

Heute ist das Gymnasium keine Elite mehr sondern der normale Durchschnitt, der Empfehlung des Grundschullehrers muss man nicht folgen und wenn der Lehrer meinem Kind widerspricht verklag ich die Schule. Klingt überzogen? Das ist die bittere Realität. Gehen Sie einmal an eine durchschnittliche Schule und fragen in einer Gymnasialklasse wie viele Kinder eigentlich in der Realschule sitzen sollten. Das sind weit mehr als 2%. Und wenn man die Eltern darauf anspricht, warum der Empfehlung nicht gefolgt wurde heißt es, dass sie ihr Kind besser einschätzen könnten als der Lehrer (sie kennen es ja auch viel besser). Sie haben den Wunsch ihrem Kind den Besten Bildungsweg zu ermöglichen, Gymnasium ist da gerade gut genug.

Vergleicht man dazu den Leistungsstand einer Realschule von heute mit der vor 40 Jahren, dann wird man gravierende Unterschiede feststellen und das nicht zum Besseren.

Weiterhin haben Eltern Vorstellungen davon wie Lehrer Unterrichten sollen, die es dem Lehrer schwer machen sich selbst und die Lernziele durchzusetzen. Dass Eltern mit Aussprüchen kommen wie "Mein Kind muss sich nicht dem Lehrer anpassen sondern der Lehrer meinem Kind" sind keine Seltenheit.

Lehrer werden heute einem strengen Katalog mit Maßnahmen unterworfen, damit die Schule nur nicht angreifbar ist. Ich mache da mal ein kleines Beispiel: Eine Klasse ist unverhältnismäßig Laut und stört. Der Lehrer lässt die Klasse nach mehrfachen Aufforderungen und Androhungen eine Zusatzaufgabe machen. Die Eltern laufen Sturm. Der Lehrer hat den Falschen Beruf, wenn er nach Kollektivstrafen greift, das eigene Kind sei schließlich nicht beteiligt gewesen.
Die Kinder haben daraus etwas wichtiges gelernt. Der Lehrer hat keine Macht, die eigenen Eltern sind auf ihrer Seite, was der Lehrer versucht durchzusetzen wird von ihnen ausgehebelt.

Die Lehrer sollen immer individueller auf die Schüler und ihre Probleme eingehen, doch wie und vor allem wann sie das machen sollen, bleibt unbeantwortet.

Was bleibt ist aber die Tatsache, dass dennoch immer weniger Schüler sitzen bleiben trotz ihrer Überforderung in der Schule, der Überforderung der Lehrer und der Eltern. Und Pisa hat uns recht deutlich gezeigt, wohin das führt. Die schwächeren Schüler werden auf Biegen und Brechen mitgeschleppt.

Das soll natürlich nicht heißen, dass alle Schüler so sind. Noch nicht einmal die Mehrheit ist so. Aber es sind weit mehr als die 2% Sitzenbleiber, die eigentlich schon zu Problemfällen gehören und das wird einfach tot geschwiegen.

Das Sitzenbleiben soll weg. Ich bin eigentlich dafür. Denn es bedeutet eine individuellere Förderung der Schüler nach ihrer jeweiligen Leistung. Doch dafür müsste erst einmal eine geeignete Basis geschaffen werden und die ist einfach nicht vorhanden.

Wenn Eltern in die Sprechstunden kommen und Lehrer um Rat fragen, wie sie ihre Kinder erziehen sollen, weil sie ihnen über den Kopf wachsen.
Wenn den Lehrern jegliches Druckmittel gegenüber widerspenstigen Schülern fehlt und sie nicht einmal in der Lage sind diesen ein Handy abzunehmen.
Wenn immer noch tausende von Lehrern fehlen, es genügend Lehrer gibt aber die fehlenden Stellen nicht bewilligt werden.
Wenn die Klassen größer werden aber mehr Individualität gefordert wird.
Dann fehlt eindeutig die Basis um dem Lehrer die letzte Entscheidung zu nehmen, die er noch treffen darf, nämlich ob ein Schüler die notwendige Qualifikation erreicht hat um in die nächst höhere Klasse versetzt zu werden.

Wenn man an dieser Stelle das Sitzenbleiben abschafft, dann sprechen wir Eltern und Schülern eine Abiturgarantie aus und machen die Lehrer zu den Verantwortlichen ohne Rechte und Möglichkeiten.

Schon heute ist es so, dass viele Betriebe die Bewerber um eine Stelle großteils ablehnen, weil diese einfach unzureichend ausgebildet sind. Sie kommen mit einem Realschulabschluss aber ohne Bildung. Rechtschreibung ist schwierig, selbstorganisation unbekannt und vor allem eine Konsequenz für das eigene Handeln zu übernehmen ein unverständliches Konzept. Ich sehe solche Auszubildenden und frage mich wie dann die nächste Generation aussehen soll.

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